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Zerberus der Höllenhund

Zerberus der Höllenhund

 

Mutige Helden hat es schon immer gegeben, denken wir nur an David, der ganz allein mit dem bewaffneten Riesen Goliath kämpfte. Oder Daniel, der eine Nacht in einer Grube voller Löwen verbrachte. In alten Geschichten gibt es unzählige Helden, Männer und Frauen, die Widerstände und Gefahren überwinden, um eine mutige Tat zu vollbringen. Sie trauen sich, etwas zu wagen, und begeben sich in eine gefährliche oder unsichere Situation. Sie kämpfen gegen das Böse, gegen Ungeheuer und Gefahren und riskieren ihr Leben für andere. In Märchen muss ein mutiger Held  oft eine übermenschliche Tat vollbringen. Der Heldenstatus kommt erst durch die Bewunderung und Anerkennung anderer zustande. Meistens werden Tugenden wie Tapferkeit, Gerechtigkeit oder moralische Reinheit, die der Held in seinen Handlungen zeigt, gewürdigt.

 

Alles, was einmal im Bewusstsein der Vorzeit lebendig war, ist in unserem Inneren als Seelengrundlage vorhanden. Die Grundlagen unseres Erlebnisvermögens sind in vielen mythischen Ereignissen niedergelegt. Die Heldentaten der mythologischen Figuren können wir als unsere Seelenfähigkeiten entschlüsseln, denn alle Geschichten zeigen wahre Lebensaspekte des Menschen auf. Die  menschlichen Entwicklungsstufen können in ihrer Tiefe erfasst werden, wenn der Mensch um das Entschlüsseln ringt. Im großen Heldenmythos geht es immer um die Grundfragen des Lebens. Viele Helden haben an dem Sieg der geistigen Welt teilgenommen.

Herakles, der griechische Sagenheld, wurde berühmt wegen seiner Taten, die er mit gewaltiger Kraft meisterte. Er war Sohn der höchsten griechischen Gottheit Zeus und der sterblichen Alkmene. Von Geburt an wurde Herakles von Hera, Zeus Gattin, verfolgt, die auf den Sohn der Alkmene eifersüchtig war.

Seine erste Heldentat vollbrachte er schon als kleines Kind. Hera hatte ihm eine giftige Schlange in die Wiege gelegt, um ihn zu töten. Doch Herakles griff lachend die Schlange und erwürgte sie. Als er heranwuchs, erwies er sich als übermenschlich stark. Er besiegte eine Reihe von Ungeheuern, die das Land unsicher machten, doch Heras Hass auf ihn wirkte weiterhin unaufhörlich, und eines Tages schickte sie ihn eine Zeit lang in den Wahnsinn. Im Wahn tötete er wie von Sinnen seine eigenen Kinder. Für diese grausame Tat wurde er vom König von Mykene bestraft. Die Strafe bestand darin, dass er zwölf Aufgaben erfüllen musste, die eigentlich unlösbar waren. Aber Herakles stellte sich mutig und immer wieder neu diesen Aufgaben, für die er viele Jahre benötigte. Erst tötete er einen furchtbaren Löwen und hängte sich dessen Fell um, das ihm von da an wie ein Schutzmantel diente. Danach tötete er die neunköpfige Hydra, fing die Hirschkuh Kerynitis ein, fing den wilden Eber von Erymanthos, er säuberte die Rinderställe des Augias, er verjagte die stymphalischen Vögel und fing den Stier von Kreta, er zähmte die menschenfressenden Rosse des Diomedes, und holte den Gürtel der Amazonenköniging Hippolyte, und besiegte den Riesen Geryones, er pflückte die Äpfel der Hesperiden und brachte dem König von Mykene den dreiköpfigen Höllenhund Zerberos aus der Unterwelt.

Bei der letzten Aufgabe jedoch war König Eurystheus überzeugt, dass Herakles sie nicht überleben würde, denn er sollte in die Unterwelt hinabsteigen und den riesigen dreiköpfigen Höllenhund Zerberus besiegen und ihm bringen. 

Das war sehr schwierig, denn es war noch nie jemand aus dem Totenreich des Hades zurückgekehrt. Herakles wusste, dass dies eine große Herausforderung war, und er bereitete sich gut darauf vor. Er suchte Weisheitslehrer auf, die ihm alles über das Totenreich erzählten, und er gewann Hermes und Athene für sich, die sich ihm bei dem Abstieg in die Unterwelt anschlossen. Als er in das schauervolle Reich hinabstieg, traf er auf Hades, der sich ihm in den Weg stellte. Er schoss mit einem Pfeil auf ihn und durchbohrte seine Schulter. Dies war so schmerzhaft, dass er bereit war, mit Herakles zu verhandeln. Er war damit einverstanden, dass er den Wachhund Zerberus mitnahm, wenn er ihn wieder zurückbrachte, aber er durfte keine Waffen benutzen, sondern musste andere Kräfte dafür einsetzen. Nun musste Herakles mit dem Höllenhund kämpfen, der sich nicht so leicht mitnehmen ließ. Nach einem langen harten Kampf gelang es ihm schließlich, ihn zu fesseln und ihn in das Löwenfell einzuwickeln, das er immer um sich trug. Mit dem verschnürten und eingewickelten Ungeheuer trat er vor den König Eurystheus, der eine wahnsinnige Angst bekam, trotzdem wollte er wenigstens eines der drei Köpfe sehen. Und Herakles zeigte ihm einen knurrenden Hundekopf, der seine Zähne fletschte. Dann brachte er den Hund zurück in die Unterwelt, wo er weiterhin als Hüter der Schwelle den Palast des Hades bewachte.

Herakles besaß die Fähigkeit, jede gefährliche Situation, die sich ihm entgegenstellte, zu meistern, obwohl immer ein ernst zu nehmendes Risiko bestand. Er musste verantwortungsbewusst, angemessen und vernünftig handeln. Dies lernte er mit jeder mutigen, beherzten Tat, die er vollbrachte, besser. Und es kam immer eine neue Kraft, eine neue Fähigkeit hinzu. Von Aufgabe zu Aufgabe entstand eine neue Lebenshaltung mit neuen Perspektiven und Erkenntnissen. Auch wenn die Aufgaben Forderungen waren, die an ihn gestellt wurden, konnte er sie, wenn auch mit höchster Anspannung, erfüllen. 

In der Kontinuität seiner Aufgabenbewältigung erlebte er bewusst den Prozess seiner eigenen seelischen Entwicklung. Die furchtlose Vergegenwärtigung der Unterwelt gab ihm nicht nur die Kraft zum Ertragen und Einfangen des Höllenhundes, sondern schenkte ihm auch einen geistigen Überblick über die eigenen seelischen Wandlungsvorgänge, die zur Entfaltung seiner wahren Menschlichkeit führten.

Herakles wirkte durch seine zwölf mutigen Taten, die er bewältigen musste, an der Bewusstwerdung des Auftrages mit, der den Menschen in der kosmischen Ganzheitsentwicklung einbezieht.

Die drei Köpfe des Zerberus symbolisieren das Handeln, Fühlen und Denken, die nur durch die Überwindung der alten Triebkräfte erneuert werden können.

Herakles überwand alle Hürden durch die schöpferische Kraft der Liebe. Durch seinen Herzensmut bewies er, dass er in der Lage war, die Spannweite der Höhen und Tiefen des Lebens zu erfassen und dass er sich über mächtige Abgründe zu erheben vermochte. Die Vollendung seiner letzten Tat versetzte ihn in einen seligen Zustand des Friedens. Es entstand eine völlige Ausgeglichenheit von Körper, Seele und Geist.

 

„Ein Herz, das in Gott verliebt ist,

kann nicht überwunden werden;

da Gott seine Stärke ist.

Du kannst es nicht schrecken mit der Hölle,

noch erfreuen durch das Paradies,

denn es ist derart in sich geordnet,

dass es alles was ihm widerfährt,

aus der Hand Gottes annimmt,

mit ihm bei allen Dingen in Frieden

und dem Nächsten gegenüber

nahezu unveränderlich bleibt.“

Katharina von Genua

 

„Wer überwindet, dem will ich zu essen geben von dem Baum des Lebens, der im Paradies Gottes ist.“ (Offb.2,7)

Christiane Goebel, Goldenes Rosenkreuz Kiel, www.rosenkreuz.de